14
Sep
2008

Himmel im Herbst

maedchen-himmel

Der Himmel liebt mich heute nicht.
Er wettert wie zum Weltgericht.
Der Regen peitscht mir ins Gesicht.
Vergeblich sucht mein Blick das Licht.

Vergeblich, dieser Himmel ist
voll dunkler Wolken, grau und trist,
als ob mich Gott und Welt vergisst,
hab einen Sonnenstrahl vermisst.

Ein Sonnenstrahl in seinem Blick,
das war mein ganzes Lebensglück.
Oh Himmel, lenke mein Geschick!
Oh Wind, bring ihn zu mir zurück!

(Bild: Maria von Heider-Schweinitz,
Mädchen vor bewegtem Himmel)
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13
Sep
2008

Vögel der Nacht

Weizenfeld-mit-Raben

Auf Rabenflügeln stürzt die Nacht hernieder,
stakst Aas auflauernd durch die dunklen Räume,
schleicht diebisch sich in meine leisen Träume,
krächzt heiser düstre Galgenvogellieder.

Den Kopf verwirrt vom Nachtmahr, schwer die Glieder,
so lieg ich wach und stell mir bange Fragen,
hör plötzlich hell die Nachtigallen schlagen
und schließ beglückt, entrückt die Augenlider.

Und träum von all den Vögeln unter Sternen,
von Dodos, Kiwis in den weiten Fernen,
von Eulen, Käuzen, Uhus in den Wäldern.

Von Vögeln, die am Morgen erst erwachen -
werd morgen über meine Dummheit lachen,
wenn kluge Raben kreisen über Feldern.

(Bild: Vincent van Gogh, Weizenfeld mit Raben)
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12
Sep
2008

Zeit heilt

Kastanien

Meine Sehnsucht weinte leise,
heimlich, dass es keiner sehe.
Mann und Mund und Arm und Nächte,
Frau und Tod und Leid und Trauer.
Doch der Scherz mit seiner Schleuder
schlug den riesenhaften Kummer.

Und es reihten sich Kastanien
in das graue Heer der Tränen.
Prall und schimmernd lachten Früchte
aus den aufgeplatzten Nähten.
Selbst der Schatten der Skelette
schlich bekümmert bald von dannen.

(Bild: Bozenna Bekier, Geige mit Kastanien)
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Penthesilea träumt

Freundinnen

Wenn das Wüten des wilden Achilleus
verstummt ist, liebste Prothoe,
sei mein Vertrauter der Wind,
der vorwitzig deine Locken zaust.

Spielen werden wir im Regenbogenlicht
und mit bebenden Fingerspitzen
will ich dein Sternenlächeln tasten,
will verbrennen in deinem Duft.

Lachen, sehnen, genesen will ich
bei dir, wo selbst mein Kummer
wie süßer goldener Honig schmeckt,
und niemals wieder den Staub küssen.

(Bild: Henri de Toulouse-Lautrec, Zwei Freundinnen)
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11
Sep
2008

world wide weg

Chevalier

Zur blauen Dämmerstunde leuchtet mir ein Licht.
Ein Klick, schon liegt die große weite Welt vor mir.
Ich sehe Menschen, Lichter, Pflanzen und Getier,
ich lese Forentratsch und einen Kriegsbericht.

Im Chat begrüß ich dich: "Hallo, wie geht es dir?",
schick dir im Mondschein eine Mail und ein Gedicht
und bitte dich: "Mein liebster Schatz, vergiss mich nicht!"
Was gäbe ich darum, wärst du jetzt nur bei mir!

Ich sitze ganz verloren hier und du bist dort,
uns trennen mehr als hunderttausend Meilen,
ein jeder sitzt betrübt an einem andern Ort.

Kann dich nicht sehen, kann nicht zu dir eilen.
Um wieviel lieber wär mir ein gesprochnes Wort
als nass geweinte, unlesbare Zeilen!

(Bild: Peter Chevalier, Hund mit zwei Knochen)
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10
Sep
2008

spätsommer

Schnitter1

träge käfer quälen sich
längs abgemähter ähren

grimmig zirpen grillen
tirili in spitzen wiesen

ach der bach entfacht
das karge lachen kranker lachse

oh zum großen morden
lohen schon todrote rosen

dumpfes murmeln schuldbewusster
jungfraun unter ulmen

weh ihr seelen wähnt
zum sterben wärt ihr nicht geboren

(Bild: Vincent van Gogh, Der Schnitter)
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Die Wandlung

Friedrich

Verliebt, verwirrt mein Kopf, mein Bauch.
Er sprach von Liebe und ich auch.
Reichte die Hand ihm, wie famos!
Trotz allem schweigt er, was ist los?

Riesig die Freundschaft zu ner Frau,
Ach ja, wir kannten uns genau.
Und plötzlich nahm sie all mein Geld,
Teuflisch und tückisch ist die Welt.

Voller Vertrauen, klar und rein,
Offen und ehrlich wollt ich sein.
Recht übel spielten sie mir mit,
So kalt und grausam, dass ich litt.

Ich werde nun des Weges ziehn,
Chaos und Traurigkeit entfliehn.
Hab in der Brust ein Herz aus Stein,
Treulos und ehrlos will ich sein.

(Bild: Caspar David Friedrich,
Der Wanderer über dem Nebelmeer)
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Blick in den Spiegel

Bolt

Mein neuer Spiegel im Bad,
umkränzt von hellen Lichtern,
zeigt mir lachend die Zähne:
"Hab nur Mut, keine Scheu!
Komm und schau mich an!"

Als ich vor den Spiegel trete,
bemerke ich, dass da draußen
ein hässlicher Mann lauert.
Er ist mein einziger Verehrer.
Sein Name ist Bruder Hein.

Schaudernd wende ich mich ab.
Nackt und bloß steh ich da
und betrachte mein Spiegelbild
und stelle mit Entsetzen fest:
Der Zahn der Zeit nagt an mir.

Eine Brust fehlt, die andre so lala,
dafür ein paar Jahresringe mehr.
Schmuck und Schminke, wozu?
Wozu mich rasieren, parfümieren,
da mein Liebster fort ist?

Unter meinem roten Schopf
lugen graue Schläfen hervor.
Seit er mich verlassen hat,
bin ich noch mehr ergraut,
da hilft selbst Färben nichts.

Mein Blick ist trüb geworden.
Der Kummer hat tiefe Furchen
in meine Mundwinkel gegraben.
Die Nase verstopft vom Heulen,
bekomm ich kaum noch Luft.

Einst waren seine hellen Augen
mein Spiegel, aus dem eine Frau
mich voll Seligkeit anstrahlte.
Elende Augen, sie zeigten mir
nur ein trügerisches Zerrbild!

Mein Spiegel im Bad hingegen,
er spricht immer die Wahrheit:
"Es gibt mehr Schneewittchen
als Äpfel an den Bäumen sind,
alles Gift würde nicht reichen.

Ein schönes heißes Wannenbad
tut wohler als eiskalte Rache."
Ich zupfe mir ein Haar vom Kinn,
und eine lavendelfarbene Woge
spült alsbald meine Tränen fort.

(Bild: Niels Peter Bolt, Sitzende junge Frau mit Spiegel)
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9
Sep
2008

Wo die Liebe hinfällt

David-Mora

Du bist schwarz. Ich bin weiß.
Ich bin ein Kind. Du bist ein Greis.
Du bist hässlich. Ich bin schön.
Ich bin blind. Du kannst mich sehn.

Du bist ein Mann, genau wie ich.
Bin ne Frau, Mann, ich liebe dich!
Wir lieben uns und werden eins.
Vorurteil? Ich kenne keins!

(Skulptur: David Mora)
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Fertigkost

aloys-ohlmann-grenzueberschreitende-gefahr

Leichter Tag
moderne Kost
Kalbfleischklößchen
in Estragon-
Soße
mit junger
Gemüseplatte
die Sportschau
die Lindenstraße
dazu ein Portrait
von Marlene:
das Auge
isst mit

mit knackigen
Salaten
und kleinen Snacks
aus hochwertigen
Zutaten:
Kalbfleisch
Vollmilch
Vollei
modifizierte Stärke
natürliche
Aromastoffe
Verdickungsmittel
Geschmacksverstärker

Achtung!
Bitte
beachten Sie
die Sicherheits-
bestimmungen
auf der
Rückseite
der Verpackung:
Vanillinzucker
ins Auge streuen
bei – 18° C
mindestens haltbar
vierundzwanzigtausend
ukrainische Winter
lang

(Bild: Aloys Ohlmann, Grenzüberschreitende Gefahr)
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8
Sep
2008

Serenade

Picasso-bleue-blue-period-buveuse-d-absinthe

Die Sonne schnürt ihr Bündel.
Wehmut klebt an den Fenstern.
Drinnen der Schrei des Akkordeons,
der den Schädel erbarmungslos
in Fragmente zerfetzt.

Ach, es tut weh, es tut...
Und gar nichts vermag ich
gegen die Peitschen der Himmel.
Sturm hetzt den Geketteten,
bis die See ihn gnädig verschlingt.

Nicht ertrinken wollen, wozu?
Dem Gewissen die Heuer abzuringen,
mit klammen Fingern vergeblich
nach Wahrheit wühlend,
da doch die Liebe ihnen entglitt?

Löscht das Feuer und das Licht!
Der Hahn kräht ja nicht mehr,
wenn mein Engel davon treibt
auf Luzifers Kahn, Satans Geifer
mir den Absinth verdirbt.

(Bild: Pablo Picasso, Bouveuse d'Absinthe)
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7
Sep
2008

Die Maske

Masken

Birgt sie Wahrheit oder Spott,
deine Maske, die mich anlacht?
Trügt sie oder ist sie glaubhaft?
Ist sie Zierde oder Schrott?

Lachst du, wenn die Maske weint?
Wetzt du heimlich schon die Klinge,
denkst beim Kuss an Silberlinge,
bist in Wirklichkeit mein Feind?

Nein, mein Freund, ich trau dir nicht!
Faschingsdienstag ist zu Ende,
Zeit für eine neue Wende.
Geh mir aus dem Sonnenlicht!

(Bild: James Ensor, Mädchen mit Masken)
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Falsch gedacht

Alter-Mann

"Mann, oh Mann, du süße Kleine!
(Du hast es mir angetan!)
Blonde Haare, lange Beine!
(Toll, da mach ich mich gleich ran!
Bin ein Mann, will nur das Eine.)

Will dir auch was Schönes schenken
(Weiber wolln erobert sein),
mir nach dir den Hals verrenken
und (ich weiß, ich bin ein Schwein)
deinen Schritt zum Park hin lenken."

(Dieser Mann, der mich so ansieht
mit nem Lächeln im Gesicht,
hat was, was mich magisch anzieht,
darum kümmert es mich nicht,
was mir heute die Mama riet.

Wie sie blitzen, seine Augen,
bin ganz weg und bin entzückt!
Oh, ich weiß, er wird nichts taugen,
doch sein Mund macht mich verrückt,
darf an meinen Lippen saugen.)

Als er niederkniet zum Küssen,
stößt er schnell auf Gegenwehr.
Denn das Kind konnt noch nicht wissen,
wie er küsst, der nette Herr.
Die Mama wird es vermissen.

(Bild: David Teniers d. J., Ein alter
Mann und ein junges Mädchen)
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Verlorenes Paradies

Halbe Frau

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